Schuld und Verantwortung

In diesem Buch geht es, wie stets in der Psychologie, um menschliches Erleben und Handeln. Es geht insbesondere um das Handeln von Politikern, Juristen, Theologen, Lehrenden und Unternehmern. In deren Macht liegt es weitgehend, den Lauf des Weltgeschehens zu gestalten, in destruktiver oder konstruktiver Weise. Angesichts des Elends in dieser Welt scheint die Unterstützung einer konstruktiven Entwicklung sinnvoll zu sein.

Dabei wird natürlich all das Negative deutlich, das es gibt, und auch, dass Menschen dazu beigetragen haben, aus welchen Gründen auch immer. Wer sich in Deutschland mit Vergangenem beschäftigt, der kommt an einem Wort kaum vorbei. Eigentlich müsste man dessen missbräuchliche Verwendung streng verbieten. Denn es gehört zu denjenigen Wörtern, die mit größtem Unheil und Unrecht verbunden sind. Vielleicht ist es das schlimmste Wort überhaupt. Es lautet „Schuld“.

Dem elenden Gerede von der angeblichen „Schuld der Deutschen“ ist ein Ende zu bereiten. Damit ist keineswegs gemeint, dass „die Deutschen“ unschuldig seien. Was ausgelöst von Hitlers Führungsanspruch an Verbrechen geschah, ist wahrzunehmen und zuzugeben. Es darf nicht geleugnet werden. Anzunehmen ist auch, dass wohl kaum ein Mensch auf der Erde leben kann, der sich in jeder Hinsicht als völlig unschuldig ansehen lässt. Es erweist sich als ein fragwürdiges Unterfangen, eine Rangreihe Schuldiger zu erstellen und zu behaupten, einer sei schuldiger als ein anderer. Es existiert kein objektiver Maßstab zur Schuldmessung.

Schuld und schädliches, kriminelles Handeln sind sorgfältig voneinander zu unterscheiden. Selbstverständlich gibt es harmlose und schwerwiegende Verbrechen. Es gibt Menschen, die niemand für schuldig hält und verurteilt, obwohl sie Schlimmes ausgelöst und angerichtet haben. Oft werden Menschen, die keinerlei Schaden verursacht haben, ungerechterweise beschuldigt und verurteilt. Wie mit „Schuld“ in gerechter Weise umzugehen ist, bedarf klaren Denkens und gründlicher Untersuchung, und das in jedem Einzelfall.

Für einen bewussten, sorgfältigen Umgang mit „Schuld“ setzte sich schon Jesus von Nazareth ein, als er sagte: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Jesus war konsequent für Vergebung, für die Vergebung aller Schuld. Dafür ist er am Kreuz gestorben – um alle Menschen vom Schuld- und Rachedenken zu erlösen. Davon wenig beeindruckt erfand der Kirchenvater Augustinus etwa 400 Jahre nach Jesus die Erbsündenlehre, womit er die Grundlage des späteren Geschäftsmodells des Ablasshandels schuf.

Augustinus lastete alle Schuld den ersten Menschen an. In der hebräischen Bibel heißen diese Adam und Eva. Ihre Schuld bestand darin, dass es sie gab und dass sie Kinder zeugten, Kain und Abel. Wenn es die nicht gegeben hätte, gäbe es auch uns nicht und auch nicht unsere Schuld. Letztlich liegt alle Schuld beim Schöpfer der Welt, bei Gott, denn wenn der die Welt nicht geschaffen hätte, gäbe es auch keine Schuld. Also schickte Gott Jesus in die Welt, damit er die Schuld auf sich nahm, uns Menschen davon erlöste.

Wer von der Existenz und dem Wirken eines liebenden Gottes überzeugt ist, der kann viel leichter auf Bestrafung verzichten als die, für die Gott nicht existiert oder die, die ihn als grausames Ungeheuer ansehen. In Deutschland gibt es prominente Philosophen, die das tun. Im Islam gibt es Menschen, die meinen, sie müssten als Vertreter Gottes über Menschen richten und grausamste Strafaktionen durchführen. Der Islam hat diese Unsitte in der Auseinandersetzung mit einem militanten „Christentum“ entwickelt, das sich von den Lehren des Jesus von Nazareth weit entfernt hatte. Erinnert sei hier an die Kreuzzüge.

Es gibt unendlich viele Beispiele für verheerenden Umgang mit „Schuld“. Schuld ist ein psychologisches und ein theologisches Phänomen. Wenn Menschen Fehler gemacht haben und machen, geht es darum zu lernen, diese nicht zu wiederholen, zukünftig angemessener zu handeln. Jemanden wegen Fehlern zu beschuldigen und zu bestrafen, bewirkt in der Regel nicht tatsächlich das, was man sich erhofft: Fehlerfreies Handeln. Die Rechtswissenschaft hat dafür zu sorgen, dass Menschen und die natürliche Umwelt, die Grundlagen unseres Lebens, nicht geschädigt werden. Hier muss es um verantwortungsvolles, nachhaltiges Handeln gehen. In der Rechtswissenschaft kommt man weiter, wenn man sich nicht mehr mit „Schuld“ beschäftigt.


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